Starke Frauen in Roßdorfs Straßennamen

Bündnis 90 / Die Grünen
Roßdorf / Gundernhausen
www.gruene-rossdorf.de
22.09.09
Auf den Spuren starker Frauen: Neue Straßennamen in Rossdorf/Gundernhausen
beschlossen
Bei der Benennung der Straßen im Neubaugebiet Gundernhausen gab es zwei heraus
ragende Neuerungen. Erstmals gibt es in Roßdorf jetzt Straßen, die nach Frauen benannt
werden. Und einmalig gut ist auch der Prozess gelaufen, in dem das Forum Gundernhausen
einen ausgefeilten Vorschlag erarbeitet hat, und wie dann in einem sehr demokratischen
Prozess Änderungsvorschläge auch der Grünen ermöglicht und eingearbeitet wurden. Allen
an diesem Namensgebungsprozess beteiligten möchten wir ausdrücklich danken.
Wir denken, diese Namensgebung ist ein Geschenk an die neuen Bewohner dieses Viertels,
denn sie befinden sich in allerbester Gesellschaft.
Fangen wir mit der wichtigsten Persönlichkeit an:
Das Schantze Gretche. Generationen von Kindern sind durch ihre Hände gegangen. Wer
wissen will, wie gut diese Frau war sollte diese Kinder fragen. Es ist schön, dass hier
Menschen geehrt werden, die ohne viel Aufhebens zu machen immer da waren, ganz
besonders für die Kinder.
Über die vier Mütter des Grundgesetzes, die wir Grünen im Gemeindevorstand
vorgeschlagen haben, gibt es viel zu berichten.
Friederike Nadig war eine von vier Frauen im Parlamentarischen Rat, der vor 60 Jahren das
Grundgesetz formulierte. 1897 in Herford geboren lernte sie Verkäuferin und danach
Wohlfahrtspflegerin. Bis 1933 war sie für die SPD im Westfälischen Landtag, Als sie 1947
ihre politische Tätigkeit wieder aufnehmen konnte, war sie im Landtag und
Parlamentarischen Rat eine der engagiertesten Streiterinnen für die Gleichberechtigung von
Mann und Frau, die sich seit 1948 auch dank ihr im Grundgesetz wieder findet. Sie war ihrer
Zeit weit voraus, denn trotz ihres unermüdlichen Einsatzes war ihre Forderung nach
Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern damals nicht gesellschaftsfähig.
Die zweite der vier Mütter des Grundgesetzes war die 1898 geborene Helene Wessel. Ihre
Wurzeln hatte sie im katholischen Frauenbund und der katholischen Zentrumspartei. 1933
galt sie als „politisch Unzuverlässig“. Ihr Weg zurück in die Politik führte sie 1947 nicht zur
neu gegründeten CDU, weil diese „nicht in der Tradition der sozial fortschrittlichen
Tendenzen des politischen Katholizismus“ läge, sondern sie wurde erste weibliche
Vorsitzende einer Partei in Deutschland, des Zentrums.
Nach der Mitarbeit an der Formulierung des Grundgesetzes gründete sie zusammen mit
Gustav Heinemann und Johannes Rau, den späteren Bundespräsidenten, die
Gesamtdeutsche Volkspartei, die später in der SPD aufging. Sie leitete über viele Jahre den
bürgernächsten Ausschuss des Bundestages, den Petitionsausschuss.
Die dritte der Mütter war Helene Weber aus Aachen, 1881 geboren. Sie war zunächst im
Zentrum später in der CDU tätig. Sie arbeitete schon an der Formulierung der
demokratischen Verfassung der Weimarer Republik mit und war im Präsidium des
Parlamentarischen Rats an der Formulierung des Grundgesetzes maßgeblich beteiligt.
Und jetzt kommen wir zur vierten der Mütter des Grundgesetzes. Der Lebensweg dieser
Frau hat uns sehr beeindruckt.
Elisabeth Selbert aus Kassel wurde 1896 geboren, die Eltern hatten nicht das Geld, um die
hoch begabte Tochter zum Gymnasium zu schicken oder eine Lehrerausbildung zu
finanzieren. Also machte sie eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete dann jahrelang
im Telegrafenamt der Reichspost. Die Doppelbelastung durch Arbeit und Erziehung von zwei
Kindern hielt sie nicht davon ab, politische aktiv zu werden sowie nebenberuflich ihr Abitur
zu machen. Sie studierte als damals einzige Frau in Marburg Rechts- und
Staatswissenschaften, Abschluss mit Auszeichnung, und machte 1930 ihren Doktor. Da war
sie gerade 34. Ihre Doktorarbeit machte sie zu einem Thema, das erst 1977, also 47 Jahre
später, mehrheitsfähig wurde: Zerrüttung als Ehescheidungsgrund. Bereits damals
kritisierte sie das Schuldprinzip, das Frauen bei der Scheidung oft rechtlos stellte und
forderte die Anwendung des Zerrüttungsprinzips, Diese Frau war ihrer Zeit weit voraus. Und
es ist heute kaum noch bekannt, dass ihre Doktorarbeit Grundlage für die 47 Jahre spätere
Gesetzgebung wurde.
Ihr größter Verdienst war aber, dass sie 1948 beharrlich und zäh gegen die große Mehrheit
der Männer im Parlamentarischen Rat durchsetzen konnte, dass heute im Gesetz steht
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Die Juristin Elisabeth Selbert setzte sich erst
dann durch, als sie den männlichen Politikern mit der Mobilisierung der Frauen drohte und
ihnen klarmachte dass Männer damals eine Minderheit waren, denn auf 100 Männer kamen
170 Frauen im Nachkriegsdeutschland. Dieser einfache Satz „Männer und Frauen sind
gleichberechtigt“ führte zu einer Vielzahl von Änderungen im Familienrecht, das seit 1896
kaum verändert gegolten hatte.
Der Kampf um die Gleichberechtigung wird nie zu Ende sein, und er braucht Menschen wie
die hier beispielhaft heraus gegriffenen Mütter des Grundgesetzes.
Wir denken, mit dieser Namensgebung einen wirklich Parteiübergreifenden Vorschlag
gefunden zu haben der das Engagement vor Ort und eine vorausschauende
Gesellschaftspolitik gleichermaßen würdigt. Wer an so einer Adresse in Zukunft wohnen
wird, kann stolz sein auf die neue Anschrift.
Frieder Kaufmann

Verwandte Artikel