Stellungnahme zu Bebauungsplan und Gestaltsatzung

Stellungnahme zum Bebauungsplan

„Ortsmitte Roßdorf – Kirchgasse – Schulgasse – Löwengasse“

Beschlussvorlage der Gemeindevertretung vom 7.10.2004

 

 

 

Der Entwurf des Bebauungsplanes ist zum Satzungsbeschluss auf der Tagesordnung der kommenden Gemeindevertretung. Formal besteht der Bebauungsplan aus zwei Satzungsteilen

 

a)     Bebauungsplan nach Baugesetzbuch (Art und Maß der Nutzung)

b)     Gestaltsatzung nach Hessischer Bauordnung (HBO)

 

Aus Sicht der Grünen ist ein Satzungsbeschluss des Bebauungsplanes derzeit nicht erforderlich, da der geplante Kindergarten der Gemeinde abgeblasen wurde. Drei Gründe sprechen dafür, den Entwurf des Bebauungsplanes ohne weiteren Beschluss ruhen zu lassen:

 

  1. 1.                  Wenn kein Kindergarten im Kirchgarten gebraucht wird, soll der Kirchgarten (der auch gemäß Dorferneuerungsplan erhaltenswert ist) als Garten erhalten bleiben. Wenn jetzt „Bauland“ aus dem Garten wird, dann ist dies formal für den Gutachterausschuss eine Wertsteigerung des Grundstücks auf ca. 180 €/qm (ca. die Hälfte von Wohnbauland). Dieser Wert wird beim Eigentümer bilanziert. Die Erfahrung sagt: Einmal Bauland – immer Bauland. Im Ernst: Wer in Roßdorf würde sich wagen, die Kirche nach einigen Jahren das „Bauland“zu nehmen und Garten festzusetzen?
  2. 2.                  Ein Bebauungsplan, der einige Jahre liegt, braucht Anpassungen. So will die Gemeinde beispielsweise das noch nicht angefangene Baugebiet Gundernhausen Nord-West II jetzt für viel Geld überarbeiten lassen, weil vor 10 Jahren die Grundstücke noch größer waren und diese heute nicht mehr vermarktbar sind.
  3. 3.                  Wenn kurzfristig der Kindergarten gebaut werden sollte, könnte der Bebauungsplan sofort wieder in die Gemeindevertretung eingebracht und zur Satzung beschlossen werden.

 

Zur Gestaltsatzung

  In einer Gestaltsatzung nach HBO können gestalterische Bauvorschriften von der Gemeinde inhaltlich frei bestimmt werden. Es gilt jedoch bei jeder Satzung und bei jedem Gesetz der Grundsatz, dass die Regelungen rechtlich klar bestimmbar sein müssen.

 

Die folgenden Regelungen sind rechtlich nicht klar bestimmbar und sind daher nicht nur Quelle von späteren Streitigkeiten, sondern geradezu eine Aufforderung zu Behördenwillkür:

 

  • ·                     „Bei Baumaßnahmen an bestehenden Dächern ist die für den jeweiligen Gebäudetyp charakteristische Dachform zu erhalten und ggf. wieder herzustellen. Bei Neubauten muss sich das Dach in die bestehende Dachlandschaft einfügen.“ (Punkt 8.1.1 – Seite 5)

    Was ist die charakteristische Dachform?
    Wann fügt sich ein Dach in die Dachlandschaft ein?

                    Die Summe der Dachaufbauten und -einschnitte darf max. 50% der Länge und der schrägen Höhe des Daches betragen. (Punkt 8.1.2 – Seite 5)

Was ist eine „schräge Höhe“? Eine Knobelaufgabe für Physiker und Juristen.
Die Festsetzung mit der „schrägen Höhe“ – wohlwollend interpretiert – verhindert faktisch Gauben bei Häusern, die weniger als 8 Meter Breite haben. Ist dies erwünscht?
Seltsamerweise ist ausgerechnet der optisch sehr ins Auge springende Dachüberstand nicht geregelt – wenn ich also Gauben bauen möchte, die insgesamt zu groß würden, müsste ich nur den Dachüberstand an der Traufe oder am Ortgang auf 1,50m erhöhen (maximaler Dachüberstand nach HBO).

  • ·                     „Die maximale Breite einer Dachgaube wird auf 1,20m festgesetzt.“ (Punkt 8.1.2 – Seite 5)

    Ist das wirklich erwünscht, nur noch Puppenstubenformat zuzulassen? Eine Gaubenwange mit Wärmedämmung nach ENEV ist kaum unter 20 cm Wandstärke zu verwirklichen, d.h. im Innenraum wird den Leuten maximal 80cm Breite der Gaube zugestanden.
  • ·                     „Die bestehenden Proportionen der historische Fassaden sind beizubehalten.“
    (Punkt 8.2.1 – Fassadengliederung)

    Dieser Satz meint entweder, dass Fassaden grundsätzlich nicht mehr geändert werden dürfen (dies wäre die Konservierung der Häuser wie bei einem Kulturdenkmal), oder es meint, dass der beurteilende Bauingenieur im Genehmigungsverfahren entscheidet, welche Proportionen für das betreffende Haus die richtigen sind. Hoffentlich hatte das Gebäude in der Historie nicht verschiedene Fassaden…

  • ·                     „Wandauflösungen….in Einzelflächen sind nicht zulässig“. (Punkt 8.2.1 – Seite 6)

    Einfältige Frage: Ist mit dieser Festsetzung die Hofreite Grünewald gegenüber vom Rathaus noch zulässig? Glücklicherweise muss das historische Rathaus nicht verputzt werden, weil es knapp außerhalb des Bebauungsplans liegt.
  • ·                     „Gebäudeaußenwände müssen entsprechend historischen Vorbildern glatt verputzt werden(Punkt 8.2.2 – Seite 6)

    Da ist es ja schriftlich: Nieder mit dem Fachwerk und den Lärchenholzschindeln!

  • ·                     „Bei Gebäude mit Sichtfachwerk ist der Putz fachgerecht auszuführen“. (Punkt 8.2.2 – Seite 6)

    Dies ist die Steigerung – das Fachwerk muss nicht nur verputzt werden, sondern muss sogar fachgerecht verputzt werden, damit das Fachwerk auch wirklich für Jahrzehnte verschwindet. Wenn bei anderen Häusern „unfachgerecht“ verputzt wird und der Putz zu bröckeln anfängt, ist das nicht so schlimm….

  • ·                     „Andere Materialien sind zulässig, wenn es sich aus der historischen Bebauung ableiten lässt. (Punkt 8.2.2 – Seite 6)

    Alles zurück – hier kommt das Gnadenbrot für das Fachwerk, wenn historisch nachgewiesen wird, dass es sich um historisches Fachwerk handelt. Nicht so einfach in einer Gegend, in der das Fachwerk in der Geschichte meistens verputzt wurde….

  • ·                     „Grelle und zu dunkle Fassadenanstriche sind unzulässig“ (Punkt 8.2.2 – Seite 6)

    Aha: Dunkel ist zulässig und „zu dunkel“ ist unzulässig. Hoffentlich trägt der Sachbearbeiter bei der Bauaufsicht keine Sonnenbrille….

  • ·                     „Die Farbe des Putzes muss mit der Umgebung abgestimmt sein und dem Ortsbild angepasst sein.“ (Punkt 8.2.2 – Seite 6)

    Grell“ wurde oben schon ausgeschlossen, „zudunkel“ ebenfalls. Alle nichtgrellen und nichtzudunklen Putze sind demnach zulässig, wenn sie mit der Umgebung abgestimmt sind. Was aber ist „abgestimmt“ und wer stimmt ab? Muss ich die umgebende Nachbarschaft versammeln und eine demokratische Abstimmung über die Putzfarbe machen? Oder nimmt die Bauaufsicht diese Abstimmung mit der Nachbarschaft vor. Oder ist mit „Umgebung“ der Putz der Nachhäuser gemeint? Wer immer meint, Farben „abstimmen“ zu können, sollte die Modekataloge oder die Bauzeitschriften der letzten 30 Jahre überblättern. Ist es bekannt, dass die grüne 70er-Jahre-Fassade des Kaufhauses Henschel+Ropertz in Darmstadt seinerzeit zusammen mit der Denkmalschutzbehörde gewählt wurde?

  • ·                     „Zulässig sind nur stehende Fensterformate“. (Punkt 8.2.3 – Seite 6)

    “Stehend“ meint, die Höhe der Fenster ist größer als die Breite. Wie soll das bei einem Kindergarten funktionieren? Wird der Kindergarten überall nur stehende Fensterformate bekommen, auch als Oberlicht? Nein, denn die Gestaltsatzung gilt ausdrücklich nicht für den Kindergarten (Punkt 7 – Seite 5) – die Gemeinde selbst hat nicht vor, sich an die eigene Satzung zu halten….

  • ·                     „Neu zu errichtende Einfriedigungen müssen durch ihre Form, Farbe und Textur ein integrierter Bestandteil der Bebauung sein.“ (8.4 – Seite 6)

    Diesen Satz kann ich nicht verstehen, obwohl ich Architektur und Stadtplanung studiert habe und als Stadtplaner arbeite. Darf ich Zäune nur noch im Hausinneren bauen, aber nicht mehr draußen im Freien? Kann mir der Zaunverkäufer erklären, welche „Textur“ der Zaun hat? Schlagen Sie das Wort „Textur“ mal im Lexikon nach – Sie werden erstaunt sein.

  • ·                     „Folgende Materialien sind zulässig: Verputztes Mauerwerk, verputzter oder durchgefärbter Beton, Sichtmauerwerk aus Naturstein, Holz. Unzulässig sind Holzgeflechtzäune, Jägerzäune, Metall- und Drahtgeflecht, Kunststoffzäune. Zulässig sind Holzzäune und im Gartenbereich mit lebenden Hecken begrünte Drahtzäune ohne Sockel. Die Höhe der Einfriedigung zu Straßenfläche – mit Ausnahme der Grundstücke Kirchgasse 2,5 und 9 – soll mindestens 1,80 über deren Niveau ragen.“ (Punkt 8.4 – Seite 6)

    An dieser Festsetzung zu den Zäunen habe ich rechtlich nichts zu beanstanden, denn diese sind juristisch klar. Betonwände mit 2,50m Höhe sind beispielsweise kein Problem, wenn sie grau durchgefärbt sind. Holzzäune sind zulässig – wie schön – wenn es keine Jägerzäune sind, keine Holzflechtzäune sind und höher als 1,80 Meter sind. Inhaltlich sind diese Festsetzungen jedoch Ausdruck einer inneren Einstellung, die ich nicht teilen kann.

 

 

Zusammenfassendes Urteil zur Gestaltsatzung:

 

Die meisten der oben genannten Festsetzungen sind rechtlich unbestimmt, würden vor Gericht nicht bestehen können und sind daher schon heute nichtig.

 

Ein Teil der Festsetzungen ist unzulässig, weil das Satzungsrecht sich aus der Nachbarschaft herleitet, zum Beispiel wenn die in der Nachbarschaft vorhandenen Farben die Zulässigkeit meiner Hausfarbe bestimmen. Dies nennt man juristisch „Windhundprinzip“ und ist unzulässig.

An entscheidenden Stellen wurden unerklärlicherweise keine Aussagen gemacht – ich hätte beispielsweise den Dachüberstand an der Traufe auf 40 cm und den Ortgang auf 20cm beschränkt, um Schwarzwaldhäuser zu vermeiden.

 

Dass die Zäune bis auf die Masche bestimmt werden, ist bedenklich – diese sind nach 30 Jahren kaputt und belasten die Nachwelt am wenigsten. Die Detailgenauigkeit zeigt jedoch, wie viel Eigenverantwortung man dem Bürger zugesteht. Die zum Ausdruck kommende Gewissheit, wie aus Planersicht eine schöne Welt auszusehen hat, ist nicht weit von Gartenzwerg und Jägerzaun entfernt.

 

Wie wäre übrigens die Holzverschalung des mit dem Denkmalpreis des Landkreises versehenen historischen Fachwerkhauses des Vorsitzenden des Bauausschusses der Gemeinde Roßdorf (Ecke Erbacher Straße / Dieburger Straße) nach diesem Bebauungsplan zu beurteilen? Fehlanzeige! Diese Art von Fachwerkhäusern hatten niemals eine Brettverschalung und niemals liegende Fensterformate. Glücklicherweise liegt auch dieses Gebäude knapp außerhalb dieser Gestaltsatzung. Mit dieser Gestaltsatzung wäre der Denkmalpreis nicht nach Roßdorf gekommen.

 

Und noch eines zum Schluss:

 

Die Gestaltsatzung mutet geradezu absurd an, wenn man an die kürzlich illegal abgerissene Hofreite am Anfang der Kirchgasse denkt. Diese stand sogar unter Denkmalschutz! Sie wurde in zwei Nacht- und Nebel-Aktionen abgerissen (zuerst die Scheune – dann das Wohnhaus), um den Weg frei zu machen für einen Verkauf des Grundstücks zugunsten der Pläne von Kirche und Gemeinde.

 

Wie wäre es mit einer Einfriedigung an dieser Stelle, damit man die peinliche Lücke nicht sieht?

Ich schlage satzungskonform vor: 1,90 hohe Mauer aus durchgefärbtem Beton, kein Jägerzaun!

 

 

Robert Ahrnt

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